Unter dem Deckmantel eines „Sport-und Bildungsvereins“- Gedanken zur kürzlich durchgeführten Neonazi-Kampfsportveranstaltung „Tiwaz“ & zu den Strategien rechter Kampfsportstrukturen


Dank des ausführlichen Hintergrundartikels der „Exif-Recherche“ und der umfangreichen fotografischen Dokumentation des „Pixelarchivs“ in Bezug auf das extrem rechte Kampfsportevent „Tiwaz“ vom 8. Juni 2019, können erneut Einblicke in die Szene gewonnen werden. Die Ergebnisse der Recherche und Dokumentation ermöglichen es uns, Einschätzungen zum Stand der rechten Kampfsport-Szene zu geben.

So fand das Event erneut wieder in Sachsen statt, allerdings mit Abweichungen im Vergleich zum letzten Jahr. Zum einen nahmen dieses Jahr weniger Neonazis an der Veranstaltung in Crossen bei Zwickau teil, als noch 2018 in Grünhain-Beierfeld im Erzgebirge. Anders als letztes Jahr reagierten die Behörden im Vorfeld: So wurde den OrganisatorInnen scheinbar ein Tag vor dem Event die ursprünglich geplante Location entzogen. Demnach wird mittlerweile die Entwicklung und daraus resultierende Gefahr von organisierten rechten Kampfsportveranstaltungen wie „Tiwaz“ ernster genommen, nachdem jahrelang zu diesem Thema geschwiegen wurde. Doch auch wenn der ursprünglich angedachte Ort nicht genutzt werden konnte, so fand die lokal bestens vernetzte Orga-Crew rasch einen Ersatzort. Ein Chemnitzer „Sport-und Bildungsverein“ hätte am Freitagnachmittag beim Vermieter des Crossener Painball-Clubs angefragt, ob das Gelände verfügbar wäre, so die Lokalzeitung „Freie Presse“. Der Vermieter wäre informiert worden, dass man „Boxkämpfe“ austragen wolle. Anhand dessen ist abermals erkennbar, wie wichtig Aufklärungsarbeit und Recherche zur extrem rechten Kampfsportszene ist. Dass Neonazis sich unter falschen Umständen in Objekte ein mieten, um etwa RechtsRock-Konzerte auszutragen, ist ein alter Hut. Sensibilität braucht es nun auch im Bereich Kampfsport, damit eine Einmietung in unwissentliche Räume erschwert werden kann.
In wie weit der Vermieter wusste, dass es sich bei den VertreterInnen des Chemnitzer „Vereins“ um Neonazis aus verbotenen Organisation wie den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC) handelte, ist nicht bekannt. In dem Rechercheartikel zum „Tiwaz“ wird jedoch auf Sympathien des Paintball-Clubs mit der rechten Szene hingewiesen.

Obwohl das „Tiwaz“ durch das Eingreifen der Behörden am ursprünglich geplanten Ort nicht stattfinden konnte, ist es umso verwunderlicher, dass am tatsächlich ausgeführten Veranstaltungsort in Crossen keine Kontrollen stattfanden, wie das Rechercheportal „Exif-Recherche“ berichtete. Weder im Rahmen der Anreise, noch auf dem Gelände selbst, obwohl bekannterweise das Publikum überwiegend einer organisierten, gewaltbereiten Neonaziszene angehört.
Dabei war das anwesende Personenpotential im Bezug auf eine organisierte, gewaltbereite Neonazi-Szene enorm. Dass das „Tiwaz“ auch in diesem Jahr durch die ProtagonistInnen der 2014 verbotenen NSC maßgeblich organisiert wurde, wäre ebenfalls ein Argument gewesen, um die Veranstaltung zu verhindern. Schließlich liegt es nahe, dass die „Tiwaz“-Struktur als Nachfolgeorganisation der NSC gilt.
Das Publikum bestand unterdessen vorrangig aus Personen verschiedenster extrem rechter Hooligangruppen. Damit sehen wir bestätigt, dass solche Events nicht nur als Schnittmenge des rechten Spektrums gelten, sondern auch, dass die unterschiedlichen Milieus aus den Events eigene Vorteile ziehen. Für die stetig wachsende rechte Kampfsport-Szene bedeutet die Einbindung von Hooligans vor allem einen Zuwachs des Einflussbereiches auf ein kampferfahrenes und gewaltsuchendes Klientel.
Rechte Hooligangruppen sind durch „Ackerkämpfe“, die in Deutschland verboten sind, in einer gemeinschaftlichen Gewaltanwendung erprobt. Durch das gemeinsame Training über Kampfsporttechniken professionalisieren sie unter legalen Mitteln ihre Fähigkeiten. Veranstaltungen wie das „Tiwaz“ fungieren einerseits als Vernetzungsorte dieser rechten Hooligangruppen, die auch an den rassistischen Mobilisierungen der letzten Jahre beteiligt waren. Der koordinierte Überfall auf den alternativen Stadtteil Leipzig-Connewitz durch rechte Hooligans, Kampfsportler und Neonazis im Januar 2016 steht ebenso beispielhaft für die Synergien, die aus dieser Vernetzung freigesetzt wurden.

Andererseits werden Kämpfer aus den jeweiligen Hooligangruppen als Aushängeschild ihres Zusammenhangs hofiert.

Kampfsport als solches dient dadurch auch der Entzerrung eines rechten Eventcharakters, wie sich auch an den Aussagen des Vermieters des Geländes in Crossen exemplarisch zeigen lässt. So beschrieb er im Interview mit der „Freies Presse“, dass die Neonazi-Veranstaltung auf ihn ruhig gewirkt habe und er auch keine Reden feststellen habe feststellen können. Einzig die „Art, sich zu tätowieren“ hätte er „komisch“ gefunden. Daran wird deutlich, dass Neonazis über die „Unverfänglichkeit“ des Sports, also über den vermeintlich neutralen Charakter, versuchen ihr Image aufzubessern und ihre tatsächliche ideologisch begründete Gewaltbereitschaft gegenüber Personen, die nicht in ihr Weltbild passen, zu verschleiern.
Diese Rechnung scheint für die OrganisatorInnen des „Tiwaz“ aufgegangen zu sein. Weder von Seiten der Behörden, noch vom Vermieter gab es relevante Beeinträchtigungen im Ablauf des „Tiwaz“. Auch die BesucherInnen äußerten öffentlich keine Kritik an der kurzfristigen Verlegung des Ortes. Einzig und allein das Wetter hätte den VeranstalterInnen einen Strich durch die Rechnung machen können, denn schließlich fand das Event unter freiem Himmel statt.

Kevin Görke (Mitte) kämpfte beim „Tiwaz“ in Crossen für das Team des „Kampf der Nibelungen“.Rechts zu sehen: Franz Pauße vom KdN-Orgateam (Quelle:Screenshot Facebook)

Mit Blick auf die Kämpfer des „Tiwaz“ sind wir hingegen kaum überrascht, denn das Potential aktiver Kämpfer aus Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahren nur wenig entwickelt. Mit der „Northsidecrew“, der „Kampfgemeinschaft Black Legion“ und „Pride France“, wie auch mit der „AG Körper & Geist“ der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ kann schließlich auf ein Spektrum zurück gegriffen werden, das einen beträchtlichen Pool von KampfsportlerInnen unterhält. Auch die Kämpfer die nicht primär in einer festen rechten Kampfsport-Gruppe organisiert sind, sind bekannt. Interessant sind jedoch die Kontinuitäten, die sich daraus ableiten lassen. Mit Kevin Görke aus Thüringen etwa konnte das Team des „Kampf der Nibelungen“ einen vorrangig lokal verankerten Neonazi gewinnen, der in der Region auch an Trainings in nicht-rechten Gyms teilnahm. Wir hoffen dabei, dass die „Invictus Kampf-und Thaiboxschule“ nun endlich begriffen hat, dass man Neonazis nicht hofieren und trainieren sollte. Görke war dort jahrelang angebunden und bestritt für das lokale Team Kämpfe. Unserer Berichterstattung zu ihm und seinen Umtrieben folgte lange keine Reaktionen seitens des Betreibers der Kampfsportschule. Ob die jüngste Positionierung von Coach John Kallenbach der richtige Weg im Umgang mit Neonazis auf der Matte ist, stellen wir in Frage. Das Gym hatte schließlich hauptsächlich ein Image-Problem hinsichtlich der Beteiligung von Neonazis wie Kevin Görke. Dies klar zu benennen, scheint nicht der Ansatz von Kallenbach gewesen zu sein, als er sich in den sozialen Netzwerken mit dem Statement „Weder im Sport noch im Alltag. Kein Platz für Extremismus“ präsentierte, u.a. gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf das tatsächliche Problem hinzuweisen – Neonazis im Sport – statt sich auf die nichtssagende Begrifflichkeit des „Extremismus“ zu beziehen. Ähnliches findet man auch bei den Organisator_innen der „La Familia Fightnight“ in Halle und trotzdem finden sich dort vor allem Neonazis und rechte Hooligans ein – im Ring wie auch im Publikum.

André Bostelmann auf dem Wettkampf der WFMC am 15. Juni 2019 in Hagen, bekleidet mit KdN-Merchandise (Quelle: Screenshot Facebook)

Wie Neonazis versuchen organisierte rechte Kampfsportstrukturen legitim und unverfänglich aussehen zu lassen und dabei nicht-rechte Veranstaltungen für ihre politische Agenda missbrauchen, zeigt u.a. die Kampfgeschichte des Neonazis André Bostelmann aus Niedersachsen. Er trat ebenfalls auf dem „Tiwaz“ am 8. Juni 2019 in den Ring und bestritt nur eine Woche später zwei Kämpfe auf den „German Open Championships“ der WFMC in Hagen. Bostelmann ist nicht nur in der regionalen, gewalttätigen Neonazi-Szene aktiv, sondern kämpfte sowohl auf dem „Kampf der Nibelungen“ 2017, wie auch auf dem „Tiwaz“ 2018. Neonazis, die auf nicht-rechten, wettkampf-orientierten Turnieren kämpfen und dadurch auch offizielle Titel erlangen, sind untragbar für eine Kampfsportszene, in der Fairness und Respekt vermittelt wird. Gerade weil Veranstaltungen der WFMC – im Gegensatz zu Galas und Fightnights – nicht dazu dienen, ein breites Publikum anzusprechen, dass mit dem Sport als solchen wenig gemein hat. Umso wichtiger wäre es Anmeldungen zu den Turnieren zu prüfen und Neonazis aus zu laden, zumal Bostelmann bundesweit als Neonazi bekannt ist. Wir hatten schon im Februar diesen Jahres darauf hingewiesen, dass auf Veranstaltungen der WFMC mehrmals Neonazis als Kämpfer teilnahmen.

Auch Malte Redeker und Jan Zrzodelny nahmen schon beim WFMC als Kämpfer teil, wie wir bereits publik machten

Allen voran bestritt dort Malte Redeker – führender Kopf der Neonazi-Bruderschaft „Hammerskins“ und Initiator des „Kampf der Nibelungen“ – gemeinsam mit Jan Zrzodelny Kämpfe im K1. Wäre es wirklich so schwer, eine Klausel in die Anmeldeformulare solcher Wettkampfveranstaltungen zu ergänzen, etwa, dass Neonazis und RassistInnen die Teilnahme generell verwehrt wird? Das vielfach verwendete Argument, dass diese dort „nur“ kämpfen wollen und die Politik keine Rolle spielen würde, ist dabei genauso widerlegbar. Denn sowohl Redeker, als auch jüngst Bostelmann nutzten die dort errungenen Titel, um den Leser_innen in den sozialen Netzwerken zu suggerieren, dass der „Kampf der Nibelungen“ auch außerhalb der eigenen, konspirativen Kreise, erfolgreich sei. Beide posierten etwa mit T-Shirts des „Kampf der Nibelungen“ auf den Events der WFMC. Auf dem Facebook-Profil der extrem rechten Kampfsportpromotion ging man sogar noch weiter und gratulierte Malte Redeker zu seinen Titeln, die er als „Kämpfer vom KDN-Team“ (sic!) dort errungen habe. Deutlicher wird wohl kaum klar, wie Neonazis sehr Wohl „ihre“ Politik auf nicht-rechte Events einbringen – toleriert von Veranstalter_innen und Verbänden.

Ob bei konspirativen Turnieren wie dem „Tiwaz“ oder auf Veranstaltungen der WFMC: Eine Neonazi-Szene im Kampfsport agiert auf mehreren Ebenen und versucht den Einfluss stetig auszubauen. Interne Events wie der „Kampf der Nibelungen“ oder das „Tiwaz“ sind Orte der Identitätsbildung, Selbstvergewisserung, Rekrutierung und Gewinnerwirtschaftung. Mit solchen Events nimmt die Szene Einfluss auf das Erscheinungsbild und den Charakter der Erlebniswelt der extremen Rechten. Jenseits von RechtsRock und Aufmärschen avanciert Kampfsport und der daran angebundene Lifestyle zum eigenständigen Betätigungsfeld und bindet damit vor allem junge Rechte ein. Das Bild einer militanten Szene wird zudem entzerrt, in dem man den Betrachter_innen vorgauckelt, dass Events wie das „Tiwaz“ nur dem sportlichen Aspekt diene. Dadurch wird es möglich, sich einer Mainstream-Gesellschaft anzunähern, in der aktuell körperliche Fitness kaum wegzudenken ist.

Neonazis bereiten sich u.a. durch das Training im Kampfsport für den „Tag X“ vor. Man müsse sich „wehrhaft“ machen, wie es im Szene-Sprech heißt. Damit meint die Szene jedoch nicht den Akt der Verteidigung, sondern den des Angriffs. Es geht darum, den selbstkonstruierten Gegner physisch unterdrücken und gegebenenfalls auch ohne Waffen Gewalt ausüben zu können. Dieser Gegner ist alles und sind alle, die am rechten Weltbild rütteln, -die die alten Geschlechterrollen in Frage stellen, die sich dem Rassismus entgegenstellen, die den Sozialchauvinismus der rechten Gruppen und Parteien offenlegen u.v.m.
Rechten KämpferInnen den Balance-Akt zu ermöglichen, sich in nicht-rechten Gyms ausbilden zu lassen, damit diese Fähigkeiten im Straßenkampf genutzt werden können, hängt allein von den Gyms selbst ab. Kampfsport ist kein unpolitischer Raum und muss auch so behandelt werden. Es reicht nicht zu generalisieren und sich gegen „Extremismus“ auszusprechen, solange keine reale Auseinandersetzung mit der Gefahr der kampfsporterfahrenen, bestens vernetzten Neonazi-Szene stattfindet.
Dort müssen Verbände ansetzten, Gyms interagieren und klare Kante gezeigt werden!

Kein Handshake mit Nazis, keine Trainingsorte für den „Tag X“!