Der „Weisse König“ im neuen Schloss? – Kampfsport als Teil paramilitärischen Trainings in der Ukraine


Für den 10. Mai 2019 ist das Debut des MMA-Events „F1ght K1ngs“ in Kiew (Ukraine) angekündigt. Auf der Fightcard stehen nicht nur Personen, die dem faschistischen Regiment „Asow“ und dessen parlamentarischen Arm „National Corps“ angehören, sondern auch ein Neonazi und Kämpfer des „Kampf der Nibelungen“ aus Deutschland: Tom Neubert aus Dortmund.

Eine Einordnung

Immer mehr entwickelt sich die Ukraine zum Wallfahrtsort der europäischen Neonaziszene.
In nur zweieinhalb Stunden mit dem Flieger aus Frankfurt a. M. erreichbar, ist Kiew spätestens seit den Maidan-Protesten 2013 ein beliebtes Reiseziel, vorrangig aufgrund der dort verfestigten, neonazistischen Strukturen, die heute erheblich das gesellschaftliche Klima der Hauptstadt prägen.

Reaktionäre, faschistische Kräfte wie die paramilitärische Organisation „Right Sector“ erkannten während der Maidan-Proteste früh das Potential, die Proteste von rechtsaußen zu beeinflussen. Der mehrmonatige Aufstand in der Hauptstadt gegen die damalige Regierung entfachte zunehmend einen ultra-nationalistischen Taumel innerhalb der Gesellschaft. Dieser verstärkte sich im militärischen Konflikt mit Russland in der Ostukraine um Gebietsansprüche und Vormachtsstellung. Junge Männer, die in den extrem rechts geprägten Fankurven der lokalen Fußballvereine sozialisiert wurden, schlossen sich schon früh extrem rechten und radikalen Strukturen innerhalb der Maidan-Proteste an, darunter den Gruppen „Wotanjugend“ und „Misantrophic Division“. Letztere wuchs zum Sammelbecken militanter Kräfte, aus dem 2014 das faschistische Freiwilligen-Bataillon „Asow“ (АЗОВ) entstehen konnte. Im Zuge der kriegerischen Ereignisse in der Osturkaine wurde das Bataillon der Nationalgarde einverleibt und darf sich heute Regiment nennen. Um die 2000 Kämpfer sollen dem Regiment aktuell angehören – darunter auch zahlreiche Neonazis aus dem europäischen Ausland. Seit 2016 unterhält das Regiment zudem einen parlamentarischen Arm, die Neonazi-Partei „National Corps“ (Національний корпус). Deren Vorsitzender Andriy Biletsky ist gleichzeitig auch Angehöriger des Führungsstab der „Asow“.

Das „National Corps“ betreibt in Kiew zahlreiche Häuser und Büros, die sowohl als Geschäfts-, Rekrutierungs-und Freizeiträume, wie auch als Anlaufstelle für die internationale Szene dienen. So besuchte die deutsche Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ mehrfach diese Lokalitäten und nahm an Kongressen teil. Auch die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationalisten“ (JN, früher „Junge Nationaldemokraten“), waren schon zu Gast in Kiew. Zuletzt im Oktober 2018 – gemeinsam mit Abgesandten von „Der III. Weg“ – im Rahmen des „Paneuropa Kongress“.

Oben, Bild Links: Remo Kudwien und Maik Schmidt in der Ukraine; Oben rechts: Olena Semenyaka im „Haus Montag“ im sächsischen Pirna; Unten rechts: Andriy Biletsky, Führungsperson des „Asow“-Regiments (Quelle: Screenshots Facebook)

Mit Blick auf „Asow“ und „National Corps“ wird schnell ersichtlich, dass auch Kampfsport eine nicht unerhebliche Rolle spielt. So fand der „Paneuropa“-Kongress am 15. Oktober im sogenannten „Reconquista Club“ in Kiew statt, in dem fast wöchentlich MMA-Kämpfe ausgetragen werden. Zu den „Special Guests“ des Kongresses zählte zudem Marcus Follin, alias „The Golden One“, aus Schweden, der bereits 2017 als Kämpfer auf dem „Kampf der Nibelungen“ in Kirchhundem antrat. Darüber hinaus übernahm niemand geringeres als Denis „Nikitin“ Kapustin die Rolle des Übersetzers auf dem Kongress. So konnten die Teilnehmenden auch genau verstehen, was u.a. die Abgesandten der JN, Remo Kudwien und Maik Schmidt, zu sagen hatten:

„Wir sind allerdings keine normale Jugendgruppe, wir existieren nicht einfach nur vor uns hin, wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Demokratie zu zerstören (…)“.

Umgekehrt bemüht sich der „National Corps“ seine Kontakte nach Deutschland auszuweiten. So reiste Olena Semenyaka im Namen der Partei in den letzten Monaten mehrfach zu Treffen deutscher Neonazis aus den Strukturen um JN und „Der III. Weg“ und hielt dort Reden. Deutsche Strukturen, die ihrerseits auch im internationalen, rechten Kampfsportgeschehen mitmischen.

Paneuropa – die „Vereinigung der weißen Völker Europas“

Paneuropäische Bestrebungen sind kein Phänomen aus der Ukraine. Schon der Gründer der russischen Kampfsport-Promotion und Klamottenmarke „White Rex“, Denis Kapustin, benutzte den Begriff inflationär. Gemeint ist mit dem Begriff die „Vereinigung der weißen, europäischer Völker“. Diesen anti-chauvinistisch wirkenden Ansatz fand man bereits in der deutschen Neonaziszene Anfang der 2000er, etwa in der Propaganda um ein „Europa der Vaterländer“.

Das Streben nach einem Paneuropa“ und nach einer „europäischen Kampfgemeinschaft“ erwachte erneut zum Leben, als Formate wie „White Rex“ ab 2012 europaweit Kampfsport-Events initiierten und den Begriffen eine neue Plattform gaben – als modernes Pendant zum internationalen RechtsRock-Geschehen. Dabei zogen die Events allein in Russland bis zu 1200 Personen an. Im Ring nahmen Neonazis und rechte Hooligans auch aus dem europäischen Ausland teil. Außerhalb Russlands avancierte Denis Kapustin zum Wanderprediger und half Organisationen wie den „Kampf der Nibelungen“ beim Aufbau eigener Strukturen.
Ab dem zweiten Halbjahr 2016 wurde es merkbar ruhiger um „White Rex“. Es wird vermutet, dass Kapustin unter Druck der russischen Behörden geriet. Er soll einer der Drahtzeiher der Hooligankrawalle während der Männer-Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich gewesen sein. Zu dieser Annahme passt, dass Kapustin spätestens Anfang 2017 seinen Hauptwohnsitz nach Kiew verlagert haben soll.
Nicht nur die Vermarktung von „White Rex“ führte er dort fort, sondern auch seine Aktivitäten im Bereich des Kampfsports. So war er im bereits erwähnten „Reconquista Club“ des „National Corps“ in Kiew als Ringsprecher tätig, coachte dort Neonazis und trat auch mehrfach selbst in den Ring. Bis Ende 2018 reisten zudem Neonazis aus seinem Wirkungsgkreis aus Westeuropa als Kämpfer in die Ukraine – darunter der Schweizer „Hammerskin“ Joël Moret und Tomasz Szkatulski von „Pride France“.

Sasha Kocubaka, bei der Anreise zum KdN im Oktober 2018 und im Ring, gemeinsam mit Denis Kapustin (Quelle: Screenshots Instagram und Pixelarchiv)


Dass Kapustin hauptsächlich von Neonazis aus dem Umfeld der Kiewer Kampfsportstrukturen zum Hauptevent des „Kampf der Nibelungen“ im Oktober 2018 in Ostritz begleitet wurde, wirkt demensprechend schlüssig. Sasha Kocubaka, der Teil dieser Reisegruppe um Kapustin war, ist schließlich u.a. als Ringrichter beim „Reconquista Club“ tätig und trat Bildern zufolge selbst als Kämpfer auf dem KdN im Oktober 2018 an.

F1ght K1ngs“ – eine Kooperation zwischen „National Corps/Asow“ und „White Rex“?

Grundlegend kann festgestellt werden, dass die Events in den Räumlichkeiten des „Reconquista Clubs“ vor allem „MMA-Newcomern“ aus der rechten Szene als Referenz dienen.
So findet man kaum einen Kämpfer auf der Fightcard des „F1ght K1ngs“-MMA-Events
am 10. Mai 2019, der nicht schon in diesem Club im Ring stand. Auf den Promo-Bildern des kommenden Events sind darüber hinaus Bezüge zu Denis Kapustin zu finden. Mehrfach werden dort die angekündigten Kämpfer etwa in MMA-Handschuhen von „White Rex“ abgebildet.

Robert Vorobyov bei der Anreise zum KdN im Oktober 2018 und als angekündigter Kämpfer auf dem MMA-Event „F1ght K1ngs“ (Quelle: Pixelarchiv, Screenshot Facebook)


Ein weiterer Link zu Kapustin ist die Teilnahme von Robert Vorobyov als Kämpfer am 10. Mai. Dieser war ebenfalls Teil der Reisegruppe um Kapustin im Oktober 2018 in Ostritz.

Vorobyov bildet außerdem eine der Schnittmengen des Events zum ukrainischen Militär ab.
„Ukrainian Navy Sport“ heißt das Format der ukrainischen Marine, welches den Militärangehörigen verschiedene sportliche Angebote bietet. Nicht überraschend ist dabei, dass d
as „National Corps“, bzw. das faschistische Regiment „Asow“ dort ebenso seine Finger im Spiel hat.

Kampfsport, Ausdauerlauf und Praxis an der Waffe: das „Sport Corps“ der „National Corps“. In dem Rahmen mischt auch Denis Kapustin mit, auf dem Flyer von 2017 als „White Rex“ angekündigt. (Quelle: Screenshots Facebook)

Die staatlich legitimierte Neonazi-Organisation unterhält schließlich mehrere Ableger eines sogenannten „Sport Corps“ (Спортивний Корпус) , das eng mit „Ukrainian Navy Sport“ kooperiert. In etlichen Städten, darunter Odessa, Kharkiv und Chernihiv, bieten die parteieigenen Sportclubs Kampfsporttrainings an und unterhalten Jugendgruppen. In Cherkasy, wo diese Sportabteilung im „Ambros“-Gym ihr Training abhält, war auch Denis Kapustin zu Gast. Der„Reconquista Club“ in Kiew selbst gilt als Flaggschiff der „Sports Corps“.

Selbst Kinder ab 3 Jahren werden durch diese Trainings an die Organisation heran geführt, wie Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen. Das Konzept, Kinder und Jugendliche durch Sport an die Organisation heran zu führen, findet man auch bei der deutschen Neonazi-Partei „Der III. Weg“.

Kindertraining des „Sports Corps“ als Heranführung an die Neonazi-Organisation. Überall in den Gyms findet man Bezüge zur extrem rechten Ideologie, sowie zum faschistischen „Asow“-Regiment (Quelle: Screenshots Facebook)

Dass das „National Corps“ und dessen Unterorganisationen für die deutschen Strukturen als Vorbildfunktion wirkt, wird damit erneut offensichtlich. 

Alexander Shevchenko, einer der Kämpfer am 10. Mai, gehört dem „Asow“-Regiment an (Quelle: Screenshot Facebook)
Oleksii Zaiets, hier gemeinsam mit Denis Kapustin in Frankreich im Juni 2017 (Quelle: Screenshots Facebook)

Auf dem Debut der MMA-Gala „F1ght K1ngs“ kämpfen letztendlich auch mehrere Personen, die dem „National Corps“ direkt angehören und sogar Personen, die für das Regiment „Asow“ in den Krieg zogen – etwa Alexander Shevchenko. Ein anderer Kämpfer, Oleksii Zaiets, ist bereits durch seine Teilnahme am exrem rechten Kampfsportevent „Force et Honneur“ in Frankreich bekannt. Im Juni 2017 reiste er dort u.a. mit Denis Kapustin an.

Eine Verbindung des „F1ght K1ngs“-Events zur extrem rechten Kampfsportszene in Westeuropa, die auf Denis Kapustins Kontakte zurück zu führen ist, findet man anhand der Teilnahme des Dortmunder Neonazis und Hooligans Tom Neubert an dem Event in Kiew. Angekündigt als „Thomas Nojbert, Dortmund, Deutschland“ soll er dort in der 65 Kilo-Gewichtsklasse antreten. Neubert war schon 2016 einer der Kämpfer des „Kampf der Nibelungen“ in Gemünden (Hessen) und war die letzten Jahre vor allem im Kreis um die Neonazi-Partei „Die Rechte“ in Dortmund aktiv. Auch an sogenannten „Ackerkämpfen“ der rechten Hooligangruppen der Vereine Borussia Dortmund und Rot-Weiß Essen soll er – laut Eigendarstellung – teilgenommen haben. Trainingsmöglichkeiten fand er bisher in zahlreichen Gyms. Etwa beim „MMA Corps Ruhrpott“ in Bottrop, wo er nachweislich bis mindestens April 2019 anzutreffen war.

Rechts: Tom Neubert vor dem Vereinswappen der „MMA Corps Ruhrpott“; Links: Timo Kersting und Denis Kapustin beim damaligen Training in Dortmund; Unten: Neubert wird als Kämpfer auf Facebook beworben (Quelle: Screenshots Facebook)

Denis Kapustin, der mit seiner Familie – als jüdische Kontingentflüchtlinge – Anfang der 2000er aus Russland nach Köln zog, war ebenfalls in der rechten Hooliganszene in Köln und Dortmund aktiv. Dort traf er u.a. auf Timo Kersting, mit dem er mehrfach an MMA-Trainings in Dortmund teilnahm. Auch Tom Neubert war Teil dieser Trainingsgruppe um Kersting in der „Arena Dortmund“. So scheint es, dass Neubert nun in die Fußstapfen von Kersting tritt, denn auch dieser nahm an Events von „White Rex“ in Russland 2013 teil.

Mit zweierlei Maß

Das „F1ght K1ngs“-Event kann als Versuch gewertet werden, kommerzielle Neonazi-Events in der Ukraine zu etablieren – ähnlich den russischen „Duh Voina“-Events von „White Rex“. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die erwirtschafteten Gewinne des Events auch in den Kassen der Neonazi-Organisation „National Korps“ fließen. Das für den 10. Mai angekündigte MMA-Event ist schließlich Teil eines breiten „kulturellen“ Programms, dass von den „National Korps“ mitgestaltet wird.
A
uch das NS-Black Metal-Festival „Asgardsrei“, an dem im Dezember 2018 über 1500 Neonazis teilnahmen, wird maßgeblich von AktivistInnen der „National Korps“, bzw. Angehörigen des Regiment „Asow“ organisiert. Dass deutsche Neonazis im Rahmen dieser Events nur KonsumentInnen sind, bezweifeln wir. Ein User schilderte im letzten Jahr sein Rahmenprogramm um das „Asgardsrei“-Konzert in den sozialen Netzwerken wie folgt:
„Oskorai und Asgardsrei, Tschernobyl, Shooting Range (…) haben 12 Tage ein straffes Programm“. Fast beiläufig erschein
en dabei die Worte „Shooting Range“, also Schießstand.
Dass die deutsche Neonaziszene konkret Interesse hat, sich militärisch ausbilden zu lassen, lässt sich auch am Beispiel von Tom Neubert belegen. So versuchte er im letzten Jahr der Fremdenlegion beizutreten, wurde aber in Paris abgelehnt, da er nicht das gewünschte Gewicht vorzeigen konnte.

Wie viele deutsche Neonazis als freiwillige Kämpfer im „Asow“-Regiment mitmischen ist den Behörden in Deutschland nicht bekannt, wie man der Presse entnehmen kann.
Doch
wie bewerten Sicherheitsbehörden den regen Austausch zwischen deutschen Neonazis und bewaffneten Gruppen in der Ukraine? Werden Neonazis, die dort offenkundig einfachsten Zugang zu Waffen erlangen können und zudem nicht unerhebliche Gelder in faschistische Militäreinheiten pumpen, wie „Heimkehrer“ aus Kriegsregionen des nahen Ostens behandelt? Kann man ausschließen, dass sich in dem Rahmen solcher Events deutsche Neonazis anwerben lassen oder sich nachhaltige Unterstützer-Strukturen bilden?
Die Strahlkraft der ukrainischen Neonazi-Organisation ist immens,
denn all das was Neonazis hierzulande propagieren, ist dort längst Realität: Der bewaffnete Kampf, die „Reconquista Europas“, die Verteidigung der „weißen Rasse“.